Tuesday

Kreatives Schreiben: Poetische Topographien I

17:30
Kurfürstendamm

Vor dem Ausgang Tauentzienstraße des U-Bahnhofs Wittenbergplatz steht ein eisernes Schild. Durch die Anhäufung von grauem Schnee der es umgibt, sieht es so aus, also würde es nur noch von den Massen trüben Schlamm- und Eisgemischs am Straßenrand gehalten werden: weil Gehweg freischaufeln zum Eingang des Bahnhofs. Dann grob streuen weil Kurfürstendamm und deswegen viele Schuhe mit Klick-Klackabsätzen, die ausrutschen so einfach machen. Hier geht Qualität vor Quantität. Das Kaufhaus des Westens teilt etwas von seinem kahlen, violetten Licht mit diesem Schild, behält den Glanz seiner prunken, goldenen Weihnachtsbeleuchtung allerdings lieber für sich. Serifenlos steht auf dem Schild geschrieben: Orte des Schreckens, die wir niemals vergessen dürfen. Dann ein Absatz.
Auschwitz. Die Türen zum KaDeWe schwingen auf und zu, auf und zu, wieder auf und wieder zu und die klirrend kalte Luft erwärmt sich jedes Mal für einen Moment, wenn diese Türen schwingen. Stutthof. Eine ältere Dauerwellendame verlässt das Geschäft. Dachau. Sie kämpft mit ihrem roten Kaschmirschal, der sich in ihrer Perlenkette verfangen hat. Maidanek. Die Dame dreht sich zu ihrem Partner um, der Ausschau hält nach einem Taxi. Treblinka. Anstelle des Taxis fährt ihnen eine weitere Schneemaschine entgegen. Theresienstadt. Ein junger Mann mit blitzendem Stecker im rechten Ohr weicht der Maschine aus, steckt beide Hände in die Taschen, eine dunkelblaue Einkaufstüte baumelt an seinem Handgelenk. Buchenwald. Er lehnt sich gegen einen Pfosten am Bürgersteig und blickt sich um. Bergen-Belsen. Die Ampel, die das Kaufhaus des Westens vom U-Bahnhof Wittenbergplatz trennt, wird grün. Ravensbrück. Blind beginnen die Passanten zu laufen. Flossenbürg. Ein kunstseidenes Mädchen in ihrem silbern glänzenden Feh überquert auf Fußspitzen tippelnd die Straße. Sachsenhausen. Der junge Mann lehnt noch immer am Pfosten und schaut ihr nach.

17:40


Marlene

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